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Rede zum Haushaltsplan 2020 von Gunnar Hartmann, Fraktionsvorsitzender Linke-Piraten Hattingen

„Ein Loch ist im Eimer…“

Luftbild vom Ortskern Hattingen
DCF 1.0

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

das Kalenderjahr 2019 in Hattingen wurde, wie bereits die Jahre zuvor, politisch zu einem äußerst großen Teil von der Problematik der klammen Stadtfinanzen bestimmt. Mir fällt dazu Folgendes ein:

. . . Ein Loch ist im Eimer, Karl Otto,
Karl Otto, ein Loch ist im Eimer, Karl Otto, ein Loch!
Verstopf es oh Henri, oh Henri,
oh Henri, verstopf es oh Henri, oh Henri, machs dicht!
Womit denn Karl Otto, Karl Otto,
Karl Otto, womit denn Karl Otto, Karl Otto, womit? . . .

Dieses Lied, das seinen Ursprung vor dem Jahr 1700 haben soll, erinnert mich sehr an die Verzweiflungsakte, die wir in unserer Stadt begehen. Ein Loch im Eimer soll gestopft werden mit Stroh, das jedoch mit einem Beil hierfür erst gekürzt werden muss. Allerdings ist das Beil stumpf und muss zunächst mit einem Stein geschärft werden, der jedoch trocken ist, so dass er erst mit Wasser befeuchtet werden muss. Und das Wasser wiederum muss hierfür erst einmal mit dem Eimer geholt werden, der allerdings ja ein Loch hat. Wie hier in Hattingen handelt es sich um eine scheinbar unlösbare Aufgabe, da die Lösungsansätze zu einem neuen, nicht lösbaren Problem führen, nämlich zurück zum Anfang und damit zum ungelösten Ausgangsproblem.

Was kostet uns der Verkauf der Kanalrechte wirklich?

Die finanzielle Lage der Stadt Hattingen soll ebenfalls verbessert werden. Allerdings werden wir durch kurzfristige Lösungsansätze wie den Verkauf von Kanalrechten auch in Zukunft immer wieder auf die auch in ein paar Jahren mit Sicherheit nicht großzügiger vorhandenen finanziellen Ressourcen der Stadt zurückgeworfen werden, sodass der Steuerzahler dann das ausbügeln darf, was Sie ihm einige Jahre zuvor, als den goldenen Lösungsansatz verkauft haben. Sicher begrüßen wir, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die Verwaltung versuchen, die Stadt aus der finanziellen Zwickmühle zu befreien. Aber für welch einen Preis?

Es wurde und wird versucht, auf mehr oder weniger vernünftigem Wege den durch das Konnexitätsprinzip bzw. das Verständnis von dessen Anwendung von Bund und Land verursachten finanziellen Schaden auszugleichen. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir reden hier von Aufgaben, die durch die großen Parteien in der Bundesrepublik beschlossen wurden und zwar so, dass nur die Verpflichtung diese zu erfüllen festgeschrieben wurde. Wie wir diese vorgeschriebenen Aufgaben erfüllen und mit welchen finanziellen Mitteln interessiert die Bundes- bzw. Landesregierung allerdings nicht wirklich. Die Begleichung der Rechnung ist somit allein unser Problem.

Gerne wird man im Rat der Stadt von Vertretern der großen Fraktionen angefahren, dass dieser oder jener Wortbeitrag nichts mit der Stadt Hattingen zu tun habe. Dies stimmt aber nur, wenn man vergisst, dass es sich stets um einen Kreislauf handelt. Den Mitgliedern dieser Fraktionen scheint es egal zu sein, dass sie Mitglied in genau den Parteien sind, die den Kommunen die quasi unlösbaren Aufgaben stellen und die gleichzeitig nicht bereit sind, den Kommunen hierzu in Land und Bund durchaus vorhandene finanzielle Ressourcen zukommen zu lassen. Vergessen Sie nicht: Auch durch Ihre Mandatsträger-Abgabe unterstützen Sie diese Politik aktiv! Und selbstverständlich tritt niemand in eine Partei ein, deren politisches Programm man ablehnt.

Gut für Wenige, schlecht für den großen Rest ist somit eben auch der Lösungsansatz gewesen, die Finanzen aus „eigener Kraft“ in den Griff zu bekommen durch die Übertragung der Kanalnutzungsrechte. Dieser Begriff, der juristisch so gewählt wurde, dass man neben den steuerlichen Vorteilen der Bevölkerung gegenüber nicht von Verkauf reden musste, zeigt gut, wie schamlos und voller Absicht die Bevölkerung irre geführt wird, nur damit man als Held in die Geschichte der Stadt und nicht als Mitverursacher des finanziellen Desasters eingehen kann. Mit Ihrer Zustimmung zu diesem Geschäft und der vorherigen Ablehnung unseres Rückstellungsantrages haben Sie in namentlicher Abstimmung Ihre Wähler bewusst belogen. Denn natürlich werden wir auch in 20 Jahren nicht die finanziellen Mittel haben, um aus dem Geschäft wieder aussteigen zu können. In den letzten Jahren hat sich die finanzielle Lage der Stadt schließlich immer mehr verschärft und eine plötzliche, generelle Verbesserung abgesehen vom Stopfen einiger weniger, dringender Löcher anhand des Geldes aus diesem gigantischen Geschäft, ist absolut nicht in Sicht. Somit haben die betroffenen Fraktionen einen nicht tragbaren Beschluss gefasst.

Ja, wir haben durch den Beschluss kurzfristig betrachtet zunächst einmal ein wenig finanziellen Handlungsspielraumn erhalten. Allerdings ist doch vorprogrammiert, dass bereits eine leichte Erhöhung der Kreisumlage oder Ähnliches uns sehr schnell zu einer Haushaltssperre oder Steuererhöhung treiben werden. So wurden wir ja auch in der vergangenen Woche offiziell darüber informiert, dass die Landesregierung sich mal wieder kurzfristig überlegt hat, für Leistungen, die wir als Stadt erbracht haben, doch nicht, wie zuvor mitgeteilt, aufzukommen!

Meine Damen und Herren, wenn wir ehrlich sind, sind wir doch bereits finanziell handlungsunfähig und verschärfen durch unsere endgültigen und unumkehrbaren Entscheidungen und somit kopflosen Handlungen aus Angst das Problem noch zusätzlich. Was bringt uns ein Verkauf von städtischem Eigentum langfristig betrachtet? Wir stellen damit nur kurzfristig die Bevölkerung ruhig, da die Verwaltung für einen Moment lang wieder ein wenig handlungsfähig ist.

Wir sind selbst zum Sparkommissar geworden!

Wir sind doch selbst längst zum gefürchteten Sparkommissar geworden – als Gegenleistung für gezahlte Grundsteuern und andere Gebühren. Dazu nenne ich nun ein paar Beispiele:

  • ÖPNV ist Klimaschutz und Lebensqualität. Wir sind zwar hier vor Ort nicht die eigentlichen Entscheider über den ÖPNV des EN-Kreises. Allerdings haben Stadt und Fraktionen, die größtenteils auch im Kreistag sitzen, genug Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Leider geschieht dies nicht und im Gegenzug für die Steuerzahlergelder bauen wir den ÖPNV ab.
  • Investorschutz geht vor Anwohnerschutz. Es ist nicht akzeptabel, dass z. B. der Investor für die Bebauung in der Talstraße nicht verpflichtet wurde, dafür zu sorgen, dass alle zusätzlichen Kraftfahrzeuge auf seinem Gelände stehen ohne dass den Anwohnern auch nur ein Parkplatz genommen wird. Aber zugegebenermaßen hätten Sie sonst die Anwohner in der Talstraße bevorzugt, da ja in anderen Straßen z.B. die Überwachung des ruhenden Verkehrs ebenso wenig funktioniert wie die Ausgabe von Anwohnerparkausweisen für Anwohner mit wechselnden Kennzeichen.
  • Plätze in Kindertagesstätten sind nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Dies ist z. B. in Schweden selbstverständlich. Auch die Belegschaft ist in Hattingen mit einem so geringen Stellenschlüssel berechnet, dass Urlaubszeiten des Personals zur Schließung der Einrichtung führen. Glück hat aber ja, wer überhaupt einen Platz bekommen hat! Zum Glück für die Stadt wird der Bedarf an Kindertagesstättenplätzen nun jedoch ein klein wenig sinken, da es mündige Bürgerinnen und Bürger gibt, die eine Impfpflicht nicht akzeptieren. Es ist jedoch arg bedauerlich, dass hier bewusst das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit gegen das Recht des Kindes auf rechtzeitige Entwicklungsförderung und Bildung ausgespielt wird. In diesem Zusammenhang verweise ich auch noch einmal auf unsere Beantragung einer digitalen Vergabestelle für Kindertagesstättenplätze, der seinerzeit leider auf Antrag einer anderen Fraktion hin im Jugendhilfeausschuss versackt ist. Mit Hilfe dieses Antrages wollten wir für die Zukunft die Lüge der Verwaltung entkräften, dass sie nicht wissen könne, dass der Bedarf doch tatsächlich so hoch sei.
  • Welch Geistes Kind ist man, die sonn- und feiertägliche Öffnung per Landesgesetz auf acht Sonn- und Feiertage auszudehnen? Hier sieht man erneut, dass es nicht um Angestellten- und Familienschutz, sondern um eine stückweise Auflösung von Arbeitnehmerrechten geht. Und dies hauptsächlich für Fressbuden am Sonntag! Hier war mit Sicherheit kein Heiliger Geist am Werk. Danke zumindest dafür, dass ich gleich nur fünf Tage ablehnen kann, weil (noch) nicht alle acht möglichen Öffnungstage beantragt wurden!

Meine Damen und Herren, dies ist nur ein kleiner Abriss unserer eigenen Sparkommissarentätigkeit. Und natürlich wird diese auch im Haushaltsplan für 2020 ganz deutlich erkennbar. Wie sollte es denn auch anders sein?

Bei der Print-Presse möchte ich mich an dieser Stelle für Ihre Zusammenarbeit mit den Befürwor tern der Übertragung der Kanalnutzungsrechte, natürlich zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger der Stadt, bedanken. Nur so konnte die Sparkommissarentätigkeit auch in diesem Fall dem Steuerzahler überzeugt nahegebracht werden.

Aber damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Print-Presse nur von städtischen Mitarbeitern genutzt wird, betätigt sie sich auch bei der Aufdeckung von Geschäften der Stadt. Ein Beispiel hierfür ist die Sportanlage Am Wildhagen. Hier ist unsere Fraktion über ein Geschäft gestoßen, das uns sehr erschüttert hat. Unabhängig davon, dass unsere Bemühungen zur Aufdeckung nicht von der Print-Presse erwähnt wurden, hätten wir bei ausreichender Kenntnis über den Vorgang selbst auch in diesem Zusammenhang an einigen Stellen anders gestimmt! Die Verwaltung hat uns Ratsmitglieder hier nicht wahrheitsgetreu und ausreichend informiert.

Audioaufzeichnungen von Ratssitzung dank Linke-Piraten-Fraktion

Aufgrund unserer Penetranz ist nun zumindest der Wahrheitsgehalt von Niederschriften anhand einer Audioaufzeichnung nachvollziehbar und belegbar. Meine Drohung, den Antrag hierzu bei jeder Ratssitzung erneut auf die Tagesordnung zu setzen, hat zum Glück Wunder gewirkt!

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass ich Sie nicht lediglich verärgert, sondern für die Zukunft wachgerüttelt habe. Vergessen Sie bitte niemals, dass „die Politik oben“ Ihren Handlungsspielraum hier unten zwar bestimmt, Sie hier unten jedoch auch aufgrund Ihrer Parteizugehörigkeit für die Gesamtpolitik mit verantwortlich sind! Alles ist, wie in der Natur, ein Kreislauf. Hören Sie doch bitte auf, so zu tun, als würden Sie mit dem Haushalt 2020 lediglich versuchen, verantwortungsvoll Probleme zu lösen, die Sie nicht mit zu verantworten hätten! Lassen Sie uns lieber an den Kreislauf aller Dinge und das anfangs von mir genannte Lied denken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!